„Lass den Klick in deiner Stadt“ – unter diesem Motto wirbt eine Karlsruher Initiative für den hiesigen Einzelhandel und gegen das Einkaufen im Internet. Ob das gelingt? Ich muss zugeben, ich habe mich ziemlich aufgeregt über diese Kampagne. Streng genommen gaukelt sie den ansässigen Fachgeschäften vor, sie müssten nicht im Internet präsent sein. Wenn sie sich nur das Kampagnen-Plakat in ihr Schaufenster kleben und quasi gegen das böse „Online-Geschäft“ mithetzen, dann würden die Kunden schon kommen. Nach dem Motto: „Der Kunde, der nicht vor Ort einkauft, ist böse“. Dass der Faktor Online-Einkauf aber auch viel mit dem Fachhändler selbst und seinem Angebot zu tun hat, wird dabei meiner Meinung nach unterschlagen.
Auf der eigens für die Kampagne eingerichteten Website http://lass-den-klick-in-deiner-stadt.info schreiben die Initiatoren explizit, dass sie sich gegen die „bequemen Online-Shopper“ richten und ermutigen wollen, wieder vor Ort einzukaufen:
die neue welle & regio-news.de möchten mit ihren Partnern ein deutliches Zeichen dagegen setzen und mit der Kampagne „Lass den Klick in deiner Stadt“ die Bevölkerung, den Handel und vor allem die große Zahl an „Online-Shoppern“ motivieren „vor der Haustüre“ wieder einzukaufen. Die groß angelegte Kampagne für Karlsruhe soll den lokalen Einzelhandel und das Bewusstsein für die Kaufentscheidung vor Ort stärken.
Für mich und einige meiner Facebook-Kontakte (ich äußerte meinen Unmut auch dort und bekam einige angeregte Kommentare) läuft hier etwas gewaltig schief: Hier wird das Spiel „die Bösen“ gegen „die Guten“ in einer sehr einseitigen Diskussion ausgetragen. Meiner Meinung nach zeigt diese einseitige Diskussion jedoch nur noch mehr die Unfähigkeit des Einzelhandels, sich mit eigenen, innovativen Konzepten selbst um mehr Kunden zu bemühen. Da werden Gewinner und Verlierer gegeneinander gehetzt, anstatt die eigenen Stärken auszubauen.
Die Stärken des Einzelhandels benennt die Initiative auf der Internetseite selbst wie folgt:
Die Unterstützung des lokalen Einzelhandels hat viele Vorteile:
- Verfügbarkeit: Ware sofort ohne Lieferzeiten
- Versandkosten: ohne zusätzliche Kosten durch den Versand
- Mindestbestellwert: kein Mindestbestellwert beim Einzelhandel
- Beratung & Test: die Ware kann vor Ort ausprobiert, angefasst & anprobiert werden
- Umtausch/Reklamationen: lästiges zurücksenden entfällt und die Ware kann einfach und bequem „um die Ecke“ umgetauscht werden
- Sicherheit: Einzelhandel verlangt keine persönlichen Daten, anonymer Einkauf
- Einkaufserlebnis: entspanntes „Bummeln“ & Schaufenster schauen
- Arbeitsplätze: Sicherung & Aufbau von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
- gutes Gewissen, den lokalen Einzelhandel zu unterstützen und zu fördern
Alles richtig. Dafür zahle ich auch gerne mal etwas mehr. Wofür ich jedoch kein Verständnis habe, ist ein grummeliges „Guten Tag“ und 100 € mehr als „beim Amazonas“ für ein Kamera-Objektiv (das mir zuletzt beim Fachhändler vor Ort angeboten wurde). Sorry, 50 € mehr wären vielleicht noch für oben genannte Punkte gerechtfertigt gewesen, aber um 100 € mehr auszugeben, ist mein gutes Gewissen dann auch nicht groß genug. Zudem der Verkäufer mit alten Verkaufsmethoden anno 1990 auf mich zuging und ich die ganze Zeit merkte, wie er Gelerntes von damals anwendete, ohne selbst dahinter zu stehen – er war einfach nicht authentisch.
Die Stärken des Fachhandels vor Ort
Ich denke, die Stärke vom Einzelhändler liegt in der Inhaberpersönlichkeit, einem motivierten Mitarbeiter-Team, einem gut sortierten Angebot (das gerne lieber spitz als breit sein darf) und natürlich einem erstklassigen Service, einer ehrlichen Beratung und einer „Null-Problemo“-Einstellung gegenüber Reklamationen. Und diese Dinge sollten auch kommuniziert werden: über die Tonspur, wenn Sie gerade beraten, auf dem Beleg (Kassenzettel), auf Ihren Flyern – und – jetzt kommt’s: Auch im Internet.
Möglichkeiten, On- und Offline miteinander zu verbinden
Es gibt viele Möglichkeiten, Ihre Kunden über Online-Kanäle wieder ins Geschäft zu holen und umgekehrt – Hier drei Beispiele:
Basislager Karlsruhe
Beim Basislager Karlsruhe gibt es z. B. die Möglichkeit „Spezial-Kunde“ zu werden. Hier erhalte ich mit dieser Kundenkarte Treue-Punkte, die ich in Bares umsetzen kann. Bereits ab dem ersten Kauf – und diese Punkte verfallen auch nicht (korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege). Meinen aktuellen Stand und über neueste Angebote erfahre ich per Newsletter (per Post oder per E-Mail). Das Basislager bietet übrigens viele Produkte, die ich im Internet wesentlich günstiger bekommen kann – und trotzdem kaufe ich vor Ort, denn hier rede ich mit Leuten vom Fach, die auch selbst Outdoor-Sport u. ä. betreiben.
Kosmetikstudio beauty eye
Meine Kosmetikerin von beauty eye schrieb mir per WhatsApp, als ich meine bestellte Creme abholen konnte. Denken Sie hier noch einmal einen Schritt weiter: Ich könnte ihr auch die Einwilligung geben, mir 1x im Monat ein spezielles Angebot über diesen Kanal zuzusenden. 1:1-Kommunikation wäre das – individuell, persönlich. Oder, wenn der Aufwand zu groß ist: Alle Ihre Kunden bekämen den gleichen Newsletter 1x pro Monat über diesen Kanal.
Sukie’s Cake Shop
Die bevorzugte Kuchendealerin um die Ecke, Sukie’s Cake Shop, informiert ihre Kunden über Facebook, wenn sie wegen Krankheit oder zuletzt der Narrenzeit geschlossen hat. Stammkunden, die ihren Nachrichten auf Facebook folgen, wissen somit, dass sie an bestimmten Tagen vor verschlossener Türe stehen würden und beugt damit Enttäuschungen vor. Nebenbei berichtet ihre Hündin vom Alltag im Laden und neuen, leckeren Kreationen ihres Herrchens, für die es sich lohnt, wieder vorbeizukommen. (Disclaimer: Der Tipp, die Fans aus Hundesicht zu unterhalten ging auf meine Beratung zurück).
Die Chancen der Initiative
Die Kampagne in Karlsruhe wird meiner Meinung nach ins Leere laufen – für gefährlich halte ich es, den Einzelhändlern zu suggerieren, mit „Lass den Klick in deiner Stadt“ sei ihr Engagement im Online-Bereich erledigt. Der Slogan ist mehrdeutig, vom „Lass den Klick“ könnte man auch darauf schließen, dass man es ganz sein lassen soll, beim Einzelhändler zu kaufen. Meiner Meinung nach kann die richtige Lösung nur in einer Verzahnung von Internet & Vor Ort liegen. Die Stadt Wuppertal macht es mit dem Projekt Online-City vor: http://www.onlinecity-wuppertal.de/home/
Die Rückmeldungen auf meinen Kommentar bei Facebook gingen auch in die Richtung: „Aber es gibt so viele, die sich im Geschäft beraten lassen, und dann online einkaufen“ – Möglicherweise haben Sie den Gedanken auch schon im Hinterkopf gehabt. Ja, auch die Menschen gibt es. Aber niemals niemals nie dürfen Sie irgendeinen Kunden, bei dem Sie vermuten, dass er zu dieser Spezies gehört, das spüren und ihn daraufhin links lassen. Denn mit Ihrer Einschätzung können Sie falschliegen – und dann haben Sie – tschuldigung – versagt. Überzeugen Sie stattdessen mit Persönlichkeit – und überlegen Sie sich Service-Angebote, die einen höheren Preis rechtfertigen. Ich bin mir sicher, Service ist immer noch das beste Marketing, was Sie bieten können. Dann wird Ihr Kunde auch nicht zwingend zum Amazonas reisen, um ein neues, spannendes Buch zu bekommen – wie die hiesige Stephanus Buchhandlung an ihrer Ladentür titelt:
Weitere Leseempfehlungen
Lesenswert zum Thema Einzelhandel und Internet sind für Sie auch folgende Artikel:
Wer online nicht sichtbar ist, existiert nicht
Facebook ist von großer Bedeutung für Käufe im Einzelhandel
Sie meinen, Ihre Kunden sind nicht im Internet, Sie brauchen das nicht? Falsch gedacht! Aber warum das so ist, darüber schreibe ich das nächste Mal. Ganz sicher erfahren Sie es per Facebook oder über meinen Newsletter, den Sie auch über diese Website abonnieren können.
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Foto Credit: Jan Glötzl
5 Responses to Müssen Einzelhändler nicht online sein?
gut gesprochen, ute!
du hast nur aus versehen diese unnötige kampagne verlinkt und den zur „kuchendealerin um die ecke“, die auch ich nur wärmstens empfehlen kann, vergessen! 😉
http://www.sukiescakeshop.de
lg°siegmar
Ich sehe zwar gute Ansätze im Artikel, nur hast Du meines Erachtens die Kampagne falsch verstanden. Es wird nicht einmal suggeriert, dass das Internet böse ist geschweige denn ähnlich wirkende Ansätze verfolgt. Du interpretierst, doch will die Kampagne genau das Gegenteilige bewirken. Denn derzeit laufen immer mehr Menschen in die Läden, lassen sich beraten und kaufen das Produkt dann günstiger online. Der Einzelhandel kämpft und muss endlich beginnen, die Begrifflichkeit „Online“ wahr und ernst zu nehmen. Unsere Tochterfirma, die gaxsys GmbH, versucht genau diesen Ansatz zu verfolgen, eben Online meets Local. Dahingehend kann ich Dich gerne mal zu uns einladen und wir zeigen auf, wo die Probleme liegen – welche Lösungen es tatsächlich gibt?
Die Kommunikation über soziale Medien halte ich für gefährlich, auch weil persönliche Details preisgegeben werden; meist ohne zu bemerken, dass die Kommunikation über US-Server laufen. Rechtlich gesehen eh fragwürdig, da nicht jeder sich die AGB durchliest. Aber den Ansatz finde ich dennoch gut. Städte müssen endlich aktiv werden, lokale Läden auch…die Kampagne ist zumindest ein Ansatz.
Danke für diesen klasse Artikel. Mein erster Gedanke bei der Initiative war: endlich thematisieren die Händler das Thema in einer Kampagne. Dass sich die Kampagne gegen das Internet richtet ist natürlich unsinnig. Als wenn dieses Internet, da, schon verschwinden würde, wenn man genügend darüber schimpft…
Meine Güte, wie kann man so viel Aufmerksamkeit vergeuden. Dabei wäre es schon nützlich mehr Brücken-Modelle wie z.B. bei Tchibo zu nutzen. Dort kann ich in der Filiale Ware bestellen, die ich nicht sofort finde und dann abholen oder liefern lassen.
Ich hatte – ohne Radio zu hören oder mich näher damit zu befassen – die Kampagne ganz anders verstanden, nämlich so, dass man, wenn man schon online einkauft, bei seinem lokalen Händler online einkaufen soll. Vielleicht ein kurioses Missverständnis, aber für mich ist das gar nicht vorstellbar, dass ein Laden keine Website hat. Es gibt außerdem viele gute Beispiele, z.B. von diesem Second-Hand-Möbelladen (Name gerade entfallen), die alles, was im Laden steht, auch online stellen oder dieser Sneaker-Laden, der auch alles gleich bei Pinterest postet („save our soles“).
Grundsätzlich finde ich es nicht verkehrt, den Leuten den Zusammenhang zwischen Einkäufen bei Amadings und dem Aussterben der Fußgängerzonen zu verdeutlichen. Viele haben das tatsächlich noch nicht geschnallt. Aber klar, der Einzelhandel muss sich bewegen und dafür gibt’s ja viele gute Beispiele!
Danke für eure Kommentare. Ich freue mich, wenn über das Thema nachgedacht wird. Auch – um sein eigenes Einkaufsverhalten zu reflektieren. Für mich geht die Kampagne nicht weit genug. Von einem Phänomen des Online-EInkaufs in Anführungszeichen zu sprechen, halte ich für naiv. Das Online-Shopping ist kein Phänomen, sondern längst real. Und Käufer sowie Verkäufer tragen dazu bei. Beide Seiten müssen sich bewegen. Wer in Opferhaltung verfällt, der bewegt sich nicht.